Richard Stallman: Kämpft gegen die Netz-Moloche!

Tim Berners-Lee hat das World Wide Web ab 1990 für den weltweiten Austausch von Informationen entwickelt, am 6. August 1991 gab er es zur allgemeinen Benutzung frei. Langsam verwandelt es sich aber in ein System der ausgelagerten Datenverarbeitung, ein System des “Remote Computing”. Es speichert Daten von Nutzern und Daten über Nutzer, auf die der Nutzer selbst nicht zugreifen kann – die US-Bundespolizei FBI aber jederzeit. Das Netz übernimmt die Datenverarbeitung, der Nutzer gibt die Kontrolle darüber ab. Dieses neue Web ist voller Verlockungen – doch wir müssen ihnen widerstehen.

In den achtziger Jahren benutzten die meisten Menschen keine Computer, und wenn doch, dann vor allem PCs oder Time-Sharing-Dienste, mit denen mehrere Benutzer über ein Terminal auf einen Rechner zugriffen. Auf beiden konnte man nach Belieben Software installieren, bei beiden besaß man die volle Kontrolle über die eigenen Daten – auch wenn nicht klar ist, wie viele Einblicke das FBI in Time-Sharing-Dienste nehmen konnte (die in den neunziger Jahren aber ohnehin größtenteils verschwanden).

Das bedeutet nicht, dass die Nutzer damals die Kontrolle über ihre EDV hatten. Bei Software hat entweder der Nutzer die Kontrolle über das Programm (freie Software), oder das Programm hat die Kontrolle über den Nutzer (proprietäre oder unfreie Software). Damals nutzte man proprietäre Software, weil es nichts anderes gab. Der Nutzer konnte nichts an der Software ändern und wusste nicht so genau, was die Software eigentlich machte.

Proprietäre Software schränkt den Nutzer mit Absicht ein

Der Missbrauch durch proprietäre Software hat sich seither verschärft; sie schränkt den Nutzer mit Absicht ein, oft spioniert sie ihn aus, und sie enthält Hintertüren. Einige Beispiele für solches Vorgehen:

Aber auch ohne solche Extrembeispiele war es noch nie in Ordnung, wenn Software den Nutzer beherrscht. Deshalb habe ich 1983 die Bewegung der Freien Software ins Leben gerufen. Wir wollten ein völlig freies Betriebssystem und freie Anwendungen entwickeln, über die der Nutzer die volle Kontrolle bewahrt. Ich nannte das System GNU (oft wird es fälschlicherweise als “Linux” bezeichnet.) Wer auf dieses System umsteigt und nur noch freie Software verwendet, hat die volle Kontrolle über seine Datenverarbeitung. Wir haben bisher nur einen kleinen Teil des Cyberspace befreit, aber dieser Teil ist ein wichtiges Standbein für die Freiheit.

Einige Entwicklungen im Netz bedrohen diesen Erfolg. Das erste Problem war das Auftauchen unsichtbarer Verknüpfungen auf Websites zu anderen Servern, deren Hauptziel die Überwachung ist – möglicherweise für Werbung. Nutzer, die bestimmte Seiten aufrufen, merken gar nicht, dass diese Seiten mit einem Angebot – wie beispielsweise ichbeobachtedich.de – verknüpft sind, so dass sich die Seite bei jedem Besuch und auf Dauer merken kann, dass der Nutzer bestimmte Seiten besucht hat.

Web-Dienste installieren umfassende Javascript-Programme

Javascript stellt ein weiteres Problem dar. Anfangs noch für Harmloses wie ausgefallene Menüs verwendet, haben sich seine Möglichkeiten so vervielfacht, dass Javascript inzwischen selbst komplexe Anweisungen ausführt und nicht-triviale Daten verarbeiten kann. Dienste wie Google Docs installieren im Browser große Javascript-Programme. Obwohl diese auf dem Rechner laufen, hat der Nutzer keinerlei Kontrolle darüber.

Und dann ist da die Sache mit der Datenspeicherung auf den Servern von Unternehmen. Die größten dieser Unternehmen haben keinen Respekt vor der Privatsphäre der Nutzer. Wenn ein Nutzer Facebook seine Daten überlässt, bezahlen andere Firmen für die Nutzung dieser Daten Geld. Sie bezahlen Facebook – und nicht den Nutzer – dafür, mit seinem Gesicht zu werben.

Facebook-Nutzer sind nicht Kunden, sie sind Ware

Die Time-Sharing-Anbieter der achtziger Jahre behandelten die Daten ihrer Nutzer – mit wenigen Ausnahmen – noch mit Umsicht, weil sie zahlende Kunden hatten, die jederzeit den Anbieter wechseln konnten. Facebook-Nutzer bezahlen nichts, daher sind sie keine Kunden. Sie sind die Ware, die an andere Unternehmen verkauft wird. Kommt das Unternehmen oder dessen Muttergesellschaft aus den USA, kann das FBI die Nutzerdaten nach Lust und Laune und ohne jede gerichtliche Verfügung auswerten. Dazu berechtigt es ein äußerst unamerikanisches Gesetz, das beschönigend “Patriot Act” genannt wurde.

Manche Dienste bieten die Verarbeitung der Daten ihrer Nutzer auf ihren Servern an. Tatsächlich bedeutet dies, dass die Server der Anbieter die vollständige Kontrolle über die Datenverarbeitung übernehmen.

Derzeit läuft eine systematische Kampagne, die Nutzer dazu bringen soll, ihre Daten Unternehmen anzuvertrauen, denen sie nicht vertrauen sollten. Das Schlagwort lautet “Cloud Computing” – ein Begriff, der für so Vieles gebraucht wird, dass seine einzige wahre Bedeutung lautet: “Mach es, ohne darüber nachzudenken, was du da tust.”

Es gibt sogar ein Produkt, Google ChromeOS, das darauf angelegt ist, Daten ausschließlich in der Datenwolke zu speichern. Die Nutzer lagern ihre Datenverarbeitung komplett auf die Server des Anbieters aus. Ironischerweise ist ChromeOS Freie Software, eine Variante von GNU/Linux. Die Nutzer können auf den Quellcode zugreifen, sie könnten ihn verändern, um Daten lokal zu speichern und zu verarbeiten – sofern der ChromeOS-Rechner über genügend lokalen Speicherplatz verfügt, und sofern er dem Nutzer die Installation eigener Software-Versionen erlaubt. Sollte es so laufen wie bei Android-Telefonen, werden die meisten ChromeOS-Geräte das wohl nicht zulassen.

Das alles bedeutet nicht, dass Internetnutzer keine Privatsphäre genießen können. Es bedeutet auch nicht, dass Nutzer gar keine Kontrolle mehr über ihre Datenverarbeitung haben können. Es bedeutet nur, dass sie gegen den Strom schwimmen müssen, um das alles zu bekommen.

Copyright 2011 Richard Stallman, veröffentlicht von SPIEGEL ONLINE.
Veröffentlich unter der Creative Commons Attribution Noderivs 3.0 Lizenz.

Wenn die Provider mit der EU über Netzneutralität sprechen…

…kann ja nur (man möge mir die Wortwahl verzeihen) Scheiße bei herum kommen. Passenderdweise haben die Telekomiker das Konstrukt “Internet of Choices” getauft. Die Details kann man auf vasistas nachlesen, dort ist auch das pdf verlinkt, dass die Komiker mit der EU ausbaldowert haben.

Hier ist meine Interpretation dieser Idee unserer Telekomiker:

Brandneu: Internet of choices

Man darf zwischen Scheiße und Scheiße wählen, tolle Wahl...

Die Grafik steht übrigens unter CC BY-SA (volkersworld.de)

[Update] Wenn man es genau nimmt, ist die Einführung von Qualitätsklassen ein Antifeature, sprich man macht ein funktionierendes Produkt (Internet) mit Absicht schlechter. Wenn die Kunden dann die ursprünglichen Eigenschaften wiedererlangen wollen, müssen diese dann “Upgrades” kaufen.

In einem Artikel auf Zeit-Online (Die Technikmafia) wird dieses auch als moderne Form der “Schutzgelderpressung” bezeichnet.

Wenn die EU also den Internet-Providern die Einführung von Qualitätsklassen erlaubt, stellt sie ihnen damit quasi einen digitalen Kaperbrief aus. Eine andere Formulierung wäre digitales Raubrittertum.


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G+, Soziale Netzwerke und ein Rant für das freie Internet

Meine Link-Empfehlungen zum Wochenende:

  • Über die Klarnamen-Diskussion auf G+ unterhält sich die Breitband-Redaktion mit dem Blogger Don Dahlmann. Christian Heller (alias plomlompom) hat dazu auf Google+ einen lesenswerten Aufruf gestartet (Mirror auf seinem Blog/twitter).
  • Beim heutigen Dradio Wissen Talk unterhalten sich Anne Roth, Michael Seemann und Don Dahlmann über das Thema Soziale Netzwerke als das Grundrauschen des digitalen Lebens

    Die digitale Elite jubelte. Blogger, Netzpolitik-Aktivisten, Social-Media-Experten und Internet-Versteher bekamen schnell Zugang zum Feldtest von Google+. Und sie zeigten sich angetan von Googles neuem Anlauf im Social Networking: So kann man das also auch machen.

    Ob Google+ die bessere Alternative im Social Networking ist, sei erst einmal dahin gestellt. Uns interessieren Social Networks, ob sie nun Facebook, StudiVZ, MySpace, Xing oder Google+ heißen, als eine Art Grundrauschen des digitalen Lebens, als jederzeit und überall verfügbare Basis, auf der Menschen ihren digitalen Alltag organisieren und ihn mit dem RL, dem real life, zusammenbringen.

    Halböffentliches Leben im Netz

    Worauf lässt man sich eigentlich ein, wenn man sich in ein Social Network begibt? Für viele User scheinen Social Networks mit einer Art halböffentlichem Leben im sozialen Netz verbunden zu sein. Dabei entstehen ganz verschiedene Einsatzzwecke, von sozialen Informations- und News-Aggregatoren sowie der Organisation des privaten Lebens über politischen Aktivismus und Polizeiermittlungen bis hin zu Firmen- und Wahlwerbung.

    Um Social Networks sind mittlerweile ganze Ökosysteme aus Tools, Anwendungen, Apps und Spielen entstanden. Was aber macht ein Social Network eigentlich erfolgreich? Und warum scheitern andere, beziehungsweise geraten wie MySpace auf den absteigenden Ast?

    Haben sie überhaupt eine Zukunft?

    Generell gehört die Zukunft den Social Networks, welcher Coleur auch immer. Wir stünden erst am Anfang dessen, was Social Networks und Social Media für die Gesellschaft und für den einzelnen User bedeuteten, meinen viele Beobachter. Ohne sie könne sich ein Individuum in entwickelten Gesellschaften nicht mehr gesellschaftlich organisieren. Social Networks: Das Werkzeug für den Einwohner Digitaliens zum Ausgang aus der nicht nur selbst verschuldeten Unmündigkeit im Echtzeit-Überallnetz?

    Diese Themen diskutiert Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur der c’t und verantwortlich für heise online, im Onlinetalk mit seinen Gästen.

  • @herrurbach hat auf Spreeblick einen leidenschaftlichen Post mit (Zitat) „reichhaltig Wut im Bauch und einem gebrickten Router auf dem Tisch geschrieben“. Seine Forderung lautet:

    Ich sage: Radikalisiert euch! Sie sperren das Netz, wir machen es auf! Netzneutralität? Machen wir unser eigenes Netz. In jedem Fenster ein Router, auf jedem Dach ein Antenne. Funkstrecken von Turm zu Turm. Warum sollen wir weiter warten?

  • Zum Schluss noch eine umfangreichere Leseempfehlungen (auf Englisch). Unter dem Titel Net Neutrality and other challenges for the future of the Internet hat die Universitat Oberta de Catalunya, Barcelona einen Reader zur 7th. International Conference on Internet, Law & Politics herausgegeben. Dieser steht unter Creative Commons BY-NC-ND 3.0 und kann hier heruntergeladen werden.

Viel Spaß im Netz und ein schönes Wochenende ;)

Ist das Internet reif für eine Magna Carta?

Diese Frage stellt die US-Journalistin und Aktivistin Rebecca MacKinnon fordert in einem TED-Talk: Let’s take back the Internet!

In this powerful talk from TEDGlobal, Rebecca MacKinnon describes the expanding struggle for freedom and control in cyberspace, and asks: How do we design the next phase of the Internet with accountability and freedom at its core, rather than control? She believes the internet is headed for a “Magna Carta” moment when citizens around the world demand that their governments protect free speech and their right to connection.

Auf dem Bits-Blog der NY-Times befindet sich eine Zusammenfassung des Vortrags.

Hier ist das Video:

In die gleiche Richtung argumentiert Franziska Heine in ihrem Kommentar auf taz.de: Politische Teilhabe im Netz ist mehr als ein “Gefällt mir” auf Facebook – Demokratie auf Augenhöhe:

Das Unterdrückte, das Verborgene sichbar zu machen, um eine Demokratie auf Augenhöhe zu ermöglichen, das ist das Potenzial digitaler Werkzeuge. Nicht aus dem Glauben heraus, dass Politiker grundsätzlich gegen Bürger und für wirtschaftliche Lobbyverbände und die eigene Tasche arbeiten, sollten wir für die Freiheit im digitalen Raum kämpfen. Sondern weil wir damit selbst unsere Ideale und Visionen einer besseren Gesellschaft für alle verwirklichen können.

Besser kann man es eigentlich nicht ausdrücken.

Nochmal zur Internet-Enquete, FSA11 und der Bitkom zu Vorratsdaten

So langsam glätten sich die Wogen um die Internet-Enquete. Die Aufzeichnung der Sitzung vom 04.07. ist nun auch auf der Seite des Enquete online.

Linus Neumann hat auf netzpolitik.org sein Fazit gezogen und warnt vor einer Selbstzerfleischung der netzpolitischen Bewegung:

Die netzpolitische Bewegung betont immer die neuen politischen Organisationsformen und Wege der Einflussnahme. Wenn “wir” uns dann schon angesichts anachronistischer politischer Gremien so verhalten, dann geben wir für unsere Pionier-Rolle nicht unbedingt ein gutes Bild ab.

Wir sollten nicht vergessen: Wir sind in der Unterzahl und haben mächtige Gegner. Zu diesen haben wir viel größere Differenzen, als intern – und sie freuen sich diebisch, wenn wir uns mal wieder in den Köppen haben. Konzentrieren wir uns auf diese großen Differenzen und kämpfen wir für das Gute.

Jeder auf seine Weise. Die Zeit, die sonst für Selbstzerfleischung draufgeht, kann so besser genutzt werden.

Dem kann ich nur beipflichten und habe dem auch nichts weiter hinzuzufügen.

Der Vollständigkeit halber hier noch der Blog-Beitrag von Peter Tauber (CDU, Mitglied in der Enquetekommission).

Zur “Freiheit statt Angst”-Demo im Herbst: Der Aufruf ist nun veröffentlicht:

Wir wollen eine freie, demokratische und offene Gesellschaft, die ohne bedingungslos private Räume und ungehinderte Kommunikation nicht existieren kann. Wir streiten für ein freies Internet mit gleichem Zugang für alle, ohne Diskriminierung einzelner Inhalte und für den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit im Internet weltweit. Der Respekt vor unserer Privatsphäre ist unabdingbarer Bestandteil unserer menschlichen Würde – und zwar in allen Lebensbereichen. Um eine 180-Grad-Wende des gegenwärtigen Überwachungswahns zu fordern, werden wir am Samstag, den 10. September 2011 unter dem Motto “Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!” durch Berlin ziehen. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf, an der Demo teilzunehmen! Die Politiker und Konzernlenker sollen sehen, dass wir bereit sind, für unsere Freiheit auf die Straße zu gehen.  (Mehr Infos auf den Seiten des Demo-Bündnisses)

Nochmal Vorratsdatenspeicherung: Der AK Vorrat verweist auf eine Bitkom-Studie:

Vor kurzem trat der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) mit einer repräsentativen Studie an die Öffentlichkeit, die das Nutzungsverhalten im Internet und die Einstellung der Nutzer beleuchten soll. Während der Wirtschaftsverband in seiner Mitteilung zur Veröffentlichung der Studie insbesondere die Sorgen der Internetnutzer vor Missbrauch ihrer Daten betont, lassen sich aus den umfangreichen Ergebnissen weitere interessante Details erfahren. So stellte sich u.a. heraus, dass sich eine deutliche Mehrheit von 62% aller Befragten gegen eine Vorratsdatenspeicherung von Internetverbindungsdaten ausspricht. (mehr auf der Seite des AK Vorrat)

SPIEGEL-Titelstory: Wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht

Preisfrage: Woran merkt man, dass eine Redaktion keine Idee für sinnvolle Themen hat?
Antwort: Sie macht aus einer Mücke einen Elefanten.

DER SPIEGEL hat nun in seinem aktuellen Heft (Nr. 27/2011) als Titel über das “verborgene Netz der Internet-Verbrecher” (Die digitale Unterwelt) geschrieben und dieses auch mit einem tollen Titelbild garniert.

Titelbild DER SPIEGEL - Ausgabe 27/2011
Titelbild DER SPIEGEL – Ausgabe 27/2011

Im Heft war dabei eine toll aussehende Grafik, die anscheinend die Bedrohung durch das Internet zeigen sollte. Darin war zu lesen, dass “Cybercrime” von 2009 nach 2010 um sage und schreibe 19% zugenommen hat und mit der Tatwaffe Internet im Jahr 2010 knapp 247.000 Straftaten verübt worden seinen. Diese Grafik sah verdammt gefährlich aus. Gut an meinem Schreibstil kann man wohl schon erkennen, dass ich davon nicht wirklich beeindruckt war.

Nimmt man nämlich selbst einmal die im Artikel zitierte Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2010 zur Hand und schaut sich die Zahlen an, so bekommt man ein ganz anderes Bild:

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2010

In Zahlen sieht das dann so aus:

Delikt 2009 2010 Veränderung Absolut Veränderung in % Anteil 2010
Straßenkriminalität 1.435.655 1.352.897 -82.758 -5,8% 22,8%
Gewaltdelikte 208.446 201.243 -7.203 -3,5% 3,4%
Diebstahl 2.344.646 2.301.786 -42.860 -1,8% 38,8%
Tatmittel Internet (2009=KA) KA 246.607 4,2%
Internet: Bereinigt 15 Länder ** 206.909 223.642 16.733 8,1% 3,8%
Cyberkrime (IuK-Kriminalität) 50.254 59.839 9.585 19,1% 1,0%
Gesamtkriminalität * 6.054.330 5.933.278 -121.052 -2,0% 100,0%
* Aufgeklärte und nicht aufgeklärte Fälle
** Im Jahr 2009 haben nur 15 der 16 Bundesländer für Internet-Straftaten eine Statistik geführt.
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2010

Der Anstieg der Fälle von “Cybercrime” (in der Statistik als IuK-Kriminalität bezeichnet) von +19% betrifft in absoluten Zahlen eine Zunahme der Fälle von 50.254 in im Jahr 2009 auf 59.839 Fälle in im Jahr 2010. Das ist ein Plus von 9.585 oder, wie gesagt 19%. Wenn ich nun eine Grafik mit den prozentualen Veränderungen baue, sieht das natürlich verdammt dramatisch aus. Wenn ich mir aber die absoluten Zahlen anschaue, so steht diesen Fällen eine Gesamtzahl von 5,933 Mio. angezeigten Delikten in im Jahr 2010 gegenüber. Wir sprechen hier also von 1% aller Kriminalitätsfälle im Jahr 2010.

Als 2. Zahl im Artikel tauchen, wie oben geschrieben, ~247.000 Fälle auf, die mit dem “Tatmittel Internet” begangen worden sind. Diese sind in der gleichen Grafik so angeordnet, dass man meinen könnte, die 19% Zuwachs beziehen sich auf diese 247.000. Auch hier hilft die offizielle Statistik weiter.

Zitat: Erhebungen zum Tatmittel Internet erfolgen seit dem Berichtsjahr 2010 in allen Ländern über eine entsprechende Sonderkennung. Insgesamt wurden 246.607 Fälle registriert.
Für die Vergleichbarkeit der Daten mit dem Vorjahr wurden die Werte eines 2009 noch fehlenden Landes 2010 herausgerechnet. Im Jahr 2010 wurden danach in 15 Bundesländern 223.642 Straftaten erfasst, die über das Internet begangen wurden (+8,1 Prozent, 2009: 206.909 Fälle).

Die Aussage der Statistik ist also, dass in den 15 Bundesländern, die in 2009 und 2010 berichtet haben, die Fälle von Straftaten mit dem “Tatmittel Internet” (tolle Wortwahl) um 8,1% zugenommen hat. Auf die Gesamtzahl der Fälle sind dies für 2010 also 4,2% aller Straftaten.

Neben diesen statistischen Verbiegungen, besitzt der Artikel inhaltlich eine gewisse unfreiwillige Komik. Da wird mal wieder lustig alles und jeder als Hacker bezeichnet, bloß weil er etwas Code zusammen klicken kann. Kein Wort wird darüber verloren, dass die geschilderten Fälle (Betrug, Geldwäsche, Bot-Netze), zu einem großen Teil der Fahrlässigkeit, Gier oder Unwissenheit (zu einem geringen Teil auch Dummheit) der Nutzer geschuldet sind.

  • Da kaufen Menschen bei einem nicht bekannten Shop im Internet Waren, die 50% unter dem Ladenpreis liegen, zahlen mit Vorauskasse und wundern sich, dass sie beschissen werden.
  • Da glauben die Leute irgendwelchen Spam-Mails, dass man ausgerechnet ihnen einen Job anbieten will. Sie müssten nur ein Konto zur Verfügung stellen, darüber Zahlungen laufen lassen und würden dafür ein paar hundert Euro bekommen. Jetzt mal ganz im Erst: Wer würde sich in einer Fußgängerzone auf so eine Sache einlassen?
  • Da laden sich Leute irgendwelchen Kram auf ihren Rechner herunter oder surfen mit einem veralteten Betriebssystem ohne Sinn und Verstand durchs Netz, und wundern sich, dass sie einen Trojaner, Keylogger oder was sonst noch für ein Geraffel auf dem Rechner haben.
  • Da fallen immer noch Menschen auf angebliche Emails ihrer Bank, ihres Spiele-Providers oder von sonst wem herein und liefern den Phishern gutgläubig und ohne Nachdenken, aller Warnungen und Hinweise zum Trotz, ihre Bank- oder sonstigen Accountdaten frei Haus. Das Geheule, wenn dann das Bankkonto oder der Online-Gaming-Account geplündert worden ist, kann man sich dann eigentlich schon schenken. Darum hier noch einmal:
    KEINE Bank und KEIN Providern wird IRGENDWANN oder IRGENDWIE nach PASSWÖRTERN, PINS, TANS, oder sonstigen Daten FRAGEN!!!

Alle diese Dinge zeigen eigentlich nur eines: Es wird noch viel zu wenig über das Internet aufgeklärt. Der Spiegel-Artikel hilft hier ebenfalls kein deut weiter. Im Gegenteil, es werden Äpfel mit Birnen verglichen. Darüber hinaus murxt Der Spiegel hier mit einer offiziellen Statistik herum und wickelt darum eine Titelstory, die das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt wurde. Die Bäume hätte man auch gut und gerne stehen lassen können. Wäre besser für das Klima gewesen.

Bei diesem “Qualitäts-Journalismus” kann man sich eigentlich nur noch an den Kopf fassen.
(Und dafür wollen die Verlage ein Leistungsschutzrecht. HAHA!! Not RLY! – Nicht wirklich)

Das Kirdorfer Feld im Hochsommer

Das komplette Album liegt auf flickr. Die Bilder stehen unter CC BY-SA 3.0 Deutschland.

Theater in der Internet-Enquete

Heute muss es in der Enquete Internet und Digitale Gesellschaft (EIDG) hoch her gegangen sein. Nachdem die Koalition bei den Empfehlungen zum Urheberrecht ein paar Abstimmungsniederlagen hinnehmen musste, wurde die anstehende Abstimmung zum Abschnitt der Netzneutralität auf den Herbst (nach der Sommerpause vertagt).

Entsprechend waren die Reaktionen im Netz, angefangen von Enttäuschung über Wut bis hin zu Häme und Verschwörungstheorien. Auch wurde auf padeluun ziemlich eingedroschen, weil er angeblich die Abstimmung zur Netzneutralität sabotiert hätte (sein Kommentar auf netzpolitik.org). Am besten jeder macht sich selbst ein Bild und schaut sich die Übertragung der Sitzung an, sobald diese online ist.

Alvar Freude hat es recht passend formuliert:

Bleibt jetzt die Frage, wie es bei der EIDG nun weiter geht:
# Will die FDP padeluun absägen und einen neuen Sachverständigen berufen? Geht das überhaupt?
# Macht die weitere Arbeit jetzt noch Sinn?
# Bekommen wir eine klare Regelung zur Netzneutralität, die sich nicht als Bumerang herausstellt?
# Bekommen wir bei der FSA2011 nun wieder mehr Leute auf die Straße? (das wäre noch was gutes an dem ganzen)

Links (Wenigstens das Medienecho ist mal messbar):
Homepage der Bundestags Enquete Internet und Digitale Gesellschaft (Dokumente zur Sitzung / Link zum Video folgt sobald online)
Heise-Online: Internet-Enquete: Koalitionsmehrheit vertagt weitere Ergebnisse auf Herbst
Handelsblatt: Netzexperten stimmen gegen Regierungslager
netzpolitik.org: Demokratie live: Schmierenkomödie in der Enquete
Spiegel Online: Internet-Kommission vertagt wichtige Entscheidungen
Der Westen: Streit zwischen Netzpolitikern und Experten

Dresden, Vorratsdaten und “Freiheit statt Angst”

Die Sache mit der Handy-Überwachung in Dresden scheint sich so langsam zu einem sächsischen Handygate auszuweiten. So schreibt die TAZ:

In dem am Freitag veröffentlichen Bericht des Sächsischen Innen- und Justizministeriums an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wird die Erfassung von weiteren 896.072 Mobilfunk-Verbindungsdaten eingeräumt. Damit steigt die Zahl der insgesamt erfassten Daten auf über eine Million.

Dabei ist in diesem Bericht nicht genannt, in welchem Zeitraum diese Erfassung erfolgt ist. Einzig der Zeitraum 18./19. Februar diesen Jahres ist genannt (an diesem Tag gab es massive Anti-Nazi-Demos in Dresden, bei denen der erste Fall der erste Fall von Datensammelwut bekannt wurde). Als Grund für diese massive Überwachung der Dresdner Bevölkerung nennt der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP), dass der Erhebung der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung zugrunde gelegen habe. Nicht wenig überraschend findet der Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Ermittlung und Speicherung von über einer Millionen Daten dennoch “verhältnismäßig”.

Die passende Antwort auf diesen Vorfall findet Constanze Kurz in ihrer Kolumne auf FAZ.net: Polizeiliche Datengier – Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden:

Der Ort dieser Geschichte ist aber nicht Teheran, Damaskus oder Minsk, die Hauptstadt der weißrussischen Diktatur. Es ist Dresden, die Hauptstadt des Freistaates Sachsen, mit einem demokratisch gewählten Innenminister. Und es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine von dutzenden Initiativen, Vereinen und Parteien getragene, geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale, die durch die Stadt ziehen wollten.

Dabei zeigt dieser Fall drastisch wie wenig ein Richtervorbehalt gegen solche Überwachungsmaßnahmen schützt, wenn der Richter die Tragweite seiner Entscheidung nicht überblicken kann oder will. Er zeigt auch, wie sich solche Datensammlungen verselbständigen können. Denn die gesammelten Verbindungsdaten wurden wohl nicht nur für den eigentlichen Zweck genutzt sondern, wie Constanze Kurz schreibt, selbst für die “einfachen Verdachtsfälle des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, ein massenweise vorkommendes Bagatelldelikt”. Weiter schreibt sie:

Das Muster, dass ein relativ schwerer Tatvorwurf genutzt wird, um eine umfangreiche, offensichtlich unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahme zu rechtfertigen, findet sich im Polizeialltag öfters. Von einem derartigen Ausmaß wie jetzt in Sachsen hörte man jedoch hierzulande bislang eher selten.

Selbst wenn die Ermittlungen ohne Erfolg verlaufen, bleiben die Daten gespeichert. Kostet ja nix und man weiß ja nie. Theoretisch wäre es wohl inzwischen ohne Probleme möglich, eine endlose Vorratsdatenspeicherung zu betreiben. Bei der Deutschen Telekom sollen in den 6 Monaten vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im März 2010 Vorratsdaten im Volumen von 19 Terabyte angefallen sein, die dann gelöscht werden mussten. Gesetzt dem Fall, dass diese Angaben stimmen (Der Artikel der Süddeutschen Zeitung nennt keine Quelle), ist dies im Vergleich zu dem, was die Dienste im Internet jeden Tag speichern, ein Witz. Allein Google hat in 2008 weltweit die 1000fache Menge an Daten verarbeitet. täglich! Jeder moderne PC hat heutzutage eine Festplatte mit mindestens 1 TB Fassungsvermögen eingebaut.

Genau das macht die Vorratsdatenspeicherung für die Sicherheitspolitiker so sexy, weil man mit relativ wenigen Daten komplette Beziehungsnetzwerke abbilden kann. Und je länger die Speicherfrist ist, umso mehr Verknüpfungen bekommt man, umso besser aus Sicht der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden.

Der Umkehrschluss lautet: Umso gläserner werden wir. Und im Gegensatz zu dem, was viele von uns Tag für Tag ins Web 2.o an Informationen einkippen, werden wir bei staatlichen Maßnahmen noch nicht einmal gefragt. Dabei nutzen staatliche Stellen auch zunehmend gerne Daten aus sozialen Netzwerken und dem Internet, wie man bei Wikileaks gesehen hat.

Wie gläsern man durch Vorratsdaten wird, hat die ZEIT (in Zusammenarbeit mit Kai Biermann; Lorenz Matzat (OpenDataCity) u.a.) mit den Handy-Daten des Grünen-Politikers Malte Spitz sehr gut herausgearbeitet und dafür dieses Jahr den Grimme Online-Award in der Kategorie “Spezial” gewonnen (Begründung der Jury).

Jetzt reagieren viele mit dem oft zitierten Spruch “Aber ich habe doch nichts zu verbergen” auf diese zunehmende staatliche Überwachung oder dieser Spruch wird von den Befürwortern solcher Maßnahmen als mediale Beruhigungspille verabreicht. Was heißt dieser Spruch eigentlich? Am Anfang wurden kritische Fragen nach dem Sinn solcher Maßnahmen von Politikern noch (naiv) sinngemäß mit dem Satz “Wer nichts getan hat hat, hat nichts zu befürchten. Nur die bösen Buben haben etwas zu verbergen” kommentiert. Weiter gedacht bedeutet dies: “Du hast etwas zu verbergen? Das ist aber verdächtig!” Man könnte es auch so sagen: “Du sagst, dass du unschuldig bist? Dann lass die Hose runter. Beweise es!”.

Von der Unschuldsvermutung (Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist) bleibt somit in einer überwachten Welt nichts mehr übrig, im Gegenteil. In einer überwachten Welt dreht sich diese in eine Schuldvermutung um. Wer unschuldig ist, muss dies beweisen, von sich aus. Denn er hat dann ja nichts zu verbergen.

Stellt man sich also ein solches Monstrum wie die Vorratsdatenspeicherung nun noch in Verbindung mit Überwachungskameras, Fahndungsdatenbanken des BKA, der Anti-Terror-Datei und anderen Maßnahmen vor – plus der Verknüpfung dieser Datenbestände und Überwachungstools unter dem Stichwort INDECT auf EU-Ebene – so kann einem freiheitlich gesinnten Menschen eigentlich nur noch schlecht werden. Constanze Kurz beschreibt dies in ihrer Kolumne wie folgt:

Die Dresdner Datengier liefert einen präzisen Vorgeschmack auf das, was zum Alltag in Ermittlungsbehörden wird, falls der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung wiederaufersteht, wie es CDU und SPD weiterhin ohne kriminologisch glaubwürdige Begründung fordern. Die Versprechen und Beteuerungen, dass es doch nur um wenige Schwerstkriminelle ginge, klingen im Angesicht der Massenerfassung der Teilnehmer einer politischen Demonstration wie hohle Notlügen.

Fazit: Zwar wurde das Zensursula-Gesetz beerdigt, zwar wurde die Vorratsdatenspeicherung in ihrer alten Form vom Bundesverfassungsgericht gekippt, aber
solange die Innenminister und Innenpolitiker egal welcher Couleur Sicherheit über Freiheit stellen
solange diese nicht der Versuchung widerstehen können, Sicherheitsgesetze mit waghalsigen Konstruktionen irgendwie am äußersten Rahmen unserer freiheitlichen Verfassung zu montieren
solange müssen wir Widerstand leisten
solange müssen wir sagen: “Freiheit statt Angst”

Denn dies ist unsere Pflicht für die Zukunft und unsere Verantwortung vor der Geschichte,
als freie Menschen, in einem freien Deutschland und einem freien Europa.

Hinweis: Die diesjährige “Freiheit statt Angst”-Demo soll am 10. September 2011 in Berlin stattfinden. Es gibt aber noch verdammt viel zu tun. Mehr Infos auf dem Wiki des AK-Vorrat und der Kampagnenwebseite freiheitstattangst.de.

Was man sonst noch so tut…

…wenn ich mich nicht gerade mit Netzpolitik beschäftige? Nun, ich lese oder spiele; zur Zeit Herr der Ringe Online. Natürlich verdreschen wir die bösen Horden Saurons, aber wir genießen auch die virtuelle Welt von Mittelerde oder machen irgendwelchen Blödsinn. Sonst wäre es ja kein Spiel. Hier nun ein paar Bilder von Mittelerde in der Lotro-Version:

(Anmerkung: Alle Rechte für Herr der Ringe online liegen bei Turbine Inc.)