Am Montag begann ja die sogenannte 5. Jahreszeit. Passend dazu präsentierte die Deutsche Telekom (in Person ihres obersten Chefs René Obermann) im passenden Umfeld (dem Cyber Security Summit in Bonn) die Idee eines nationalen Internets, in dem alle Pakete schön sicher (und vor allem für die Telekom profitabel) geroutet werden.
Dieses Deutschland-Netz (#Schlandnet) wurde als DIE Lösung der NSA-Spähaffäre präsentiert. Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich das ganze als eine völlig bekloppte und populistische Idee.
- Könnten die meisten Pakete in Deutschland problemlos über deutsche Netze laufen, wenn die Telekom als größter Provider sich am Frankfurter Internet-Knoten mit anderen Providern verbinden und dort den Internet-Verkehr austauschen würde. Dabei gilt das Prinzip: Ich nehme Deine Daten, wenn du meine nimmst.
Dieses Verfahren, dass Peering genannt wird, sabotiert die Telekom seit Jahren und die Politik hat leider nicht den Mut, die Telekom zum freien Peering zu zwingen. So kann die Telekom in Deutschland die Bedingungen für den Austausch von Daten mit anderen Providern und Anbietern diktieren. (Am Rande: Wenn das Video auf Youtube trotz eures dicken Anschlusses ruckelt: Bedankt Euch bei der Telekom.)
- Selbst wenn die NSA nicht mehr direkt an den, dann re-nationalisierten Datenverkehr ran kommt, so kann dies immer noch der Bundesnachrichtendienst (BND). Sowohl die NSA als auch der britische GHCQ werden (wohl zu Recht) davon ausgehen, dass der BND für etwas Anerkennung wohl alles machen würde; so ähnlich, wie ein Drogenjunkie.
Die ARD-Sendung FAKT hat das ganze sehr schön zusammengetragen:
Wir tauschen somit im Schlandnet einen Dienst (NSA/GHCQ) gegen den anderen (BND). Ob das besser ist? Der BND hat im Prinzip mehr Möglichkeiten, uns das Leben zu versauen, als es NSA und GHCQ könnten. Von Inkompetenzbehörden, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz (Stichwort: NSU) rede ich mal gar nicht.
- Fußt die Idee eines Schlandnets auf einem Denken, dass Michael Seemann als das alte “Die gegen Wir”-Denken bezeichnet hat:
Es ist das gute alte “Die gegen Wir”-Denken des 20. Jahrhunderts, das “die” mit der Kollektividentität “feindlich gesinnte Nation” (klar, die Amis) identifiziert und gegen die eigene nationale Kollektividentität des “Wir” (Deutschland/Europa) setzt. “Wir” sind also bedroht (ausspioniert und schlimm grundrechtsverletzt) von “ihnen”, weswegen “wir” uns gegen “die” wehren/schützen müssen.
Dabei geht es bei der Totalüberwachung nicht um “Wir” Deutsche/Europäer gegen “Die” Amis. Es geht um “Uns” Bürger (dieses Planeten) gegen “Die” Geheimdienste (dieses Planeten). Wir werden alle ausgespäht und Überwacht, und dabei ist es egal, welcher Dienst dies tut. Wir können davon ausgehen, dass die Geheimdienste munter ihre Daten und Erkenntnisse tauschen, wenn es ihnen opportun erscheint. Und weil Wissen Macht bedeutet, werden die Geheimdienste alles tun, was möglich ist, um dieses Wissen zu schaffen. Gleichzeitig werden Sie alles tun, was möglich ist, um die Öffentlichkeit im Nichtwissen zu lassen; denn Nichtwissen ist Machtlosigkeit, zumindest dann, wenn die Poltik dies zulässt.
- Die Stärke des Internets war immer seine Internationalität, seine Grenzenlosigkeit. Es ist möglich, die Seiten der NASA aufzurufen, und sich dort die neuesten Weltraumbilder herunter zu laden. Man kann im wahrsten Sinne des Wortes (fast) mit “Gott und der Welt” sprechen. Während bis in die 90er ein Telefonat mit Übersee einen noch Unsummen kosteten, sind die Kosten dafür im offenen Internet fast gegen Null gefallen (sieht man einmal von dem Preis für die Internet-Flatrate ab). Gedanken und Ideen laufen NonStop rund um dem Globus. Die Einführung eines Schlandnet (oder SchengenNets) würde diese Entwicklung zurück drehen. Statt des offenen Internets würden wir wieder regionale Netze bekommen und an den Übergängen würden keine Internet-Knoten, wie der DE-CIX mit einer Kapazität von 40 Terabit/s, sitzen sondern ein (Telekom-)Grenzwächter, der einem raubritterartig Wegzoll abknöpfen würde.
- Würde sich über ein Schlandnet am aller meisten dieser Herr freuen.
Denn im Schlandnet wäre es für die Überwacher noch einfacher, ihre Arbeit zu machen. Es gäbe feste “Grenzübergänge” und es wäre klar wer von “drinnen” und wer von “draußen” kommt. Die Kommunikation “drinnen” würde mit der Vorratsdatenspeicherung aufgezeichnet und Überwacht. Dabei sind Vorratsdaten genau das, was im Rahmen der NSA-Affäre so verharmlosend “Metadaten” genannt wurde. Netzsperren, Deep-Packet-Inspection und Zwangsrouting würde wiederum dafür Sorge tragen, dass der Datenstrom ja nicht über “illegale” Grenzübergänge läuft und den Überwachern möglicherweise durch die Maschen schlüpft.
Bleibt als Fazit, dass es gegen die Massenüberwachung keine einfache Lösung und kein einfaches Mittel geben wird. Weder wird uns das Wegbleiben aus dem Netz schützen, noch das Einmauern unseres Netzes.
Der Ratschlag “Bleib doch draußen” geht nämlich noch immer von der irrigen Annahme aus, dass es noch einen abgeschotteten Cyberspace gibt. Spätestens mit dem Internet der Dinge wird das Netz vollständig mit dem Rest unserer Analogen Welt verschmelzen. Es gibt also kein “Draußen” mehr, nur noch verschiedene Abstufungen von “Drinnen”. Das Einmauern unseres Netzes dagegen wird uns all der vielfältigen Dinge berauben, die das Netz zu einem großartigen Ort gemacht haben. Zurück bleiben würde ein Kabelfernsehen 2.0 mit eingebautem, totalitären Überwachungskanal.
Dass wir in Deutschland auf 4 Jahre Große Koalition zusteuern, macht die Lage und die Aussichten auch nicht besser. Diese Koalition vereinigt wohl die größtmögliche Ansammlung an Sicherheitsterroristen, die man sich vorstellen kann. Die Vorratsdatenspeicherung, um nur ein Beispiel zu nennen, wird nun kommen und wo das Grundgesetz den Überwachern Hürden in den Weg legt, kann Schwarz/Rot diese wohl einfach bei Seite räumen. Selbst eine 2/3-Mehrheit im Bundesrat wird sich organisieren lassen und stellt keine unüberwindliche Hürde mehr dar.
Wenn also kein Widerstand aus der Öffentlichkeit kommt, werden wir in 4 Jahren ein anderes Land vorfinden. Ob dieser Widerstand aber entstehen wird? Das Wahlergebnis lässt mich daran zweifeln.
Falls dieser Widerstand aber entsteht, so muss er international, wenn nicht gar global sein. So wie der Widerstand gegen Atomwaffen und die Erkenntnis, dass es in einem Atomkrieg keinen Gewinner geben kann (neben wirtschaftlichen Gründen), letztlich zur atomaren Abrüstung geführt hat, so müssen die Geheimdienste weltweit abgerüstet werden. Vielleicht werden wir diesen Kampf erst gewinnen können, wenn sich eine globale Zivilgesellschaft heraus bildet. Das heißt nicht, dass wir eine Weltregierung haben müssen. Es reicht, wenn sich die Menschen zu der Erkenntnis durchringen können auf dem gleichen Planeten zu leben, die gleichen Rechte zu haben, die gleiche Luft zu atmen und am gleichen Datennetz teilzunehmen. Dann könnten wir gewinnen und das Werkzeug dazu kann das Internet sein, wenn wir es zurück fordern.
#Schlandnet ist also nicht die Antwort auf Geheimdienste, Überwachung und Kommerzialisierung.
Es ist die Kapitulation vor diesen.
In diesem Sinne: #schlandnet verrecke!
Weitere Links:
- Kommentar: Schlandnetz gegen NSA – die feuchten Schengen-Träume der Telekom – heise
- Der Weltnetzsuchantrieb – Ein Kommentar zum #schlandnet – tante blog
- “Die gegen Wir” – HIER
- Schengen-Routing, DE-CIX und die Bedenken der Balkanisierung des Internets – netzpolitik.org
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