Nun sind ein paar Tage seit dem Europaweiten Aktionstag gegen ACTA vergangen und es gibt inzwischen eine Reihe von Kommentaren im Rückblick auf die Demos.
Als erstes sei auf einen Artikel in der FAZ vom 13.02. verwiesen: Urheberrechtsabkommen Acta – Politikverdrossenheit sieht anders aus. Darin schreibt der Autor Fridtjof Küchemann:
„Ihr würdet Euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“, hatten Organisatoren des Protests in den Tagen der Vorbereitung getwittert. Das Gegenteil ist der Fall: Hier haben Zehntausende ihren Unmut gezeigt. Schön, dass sie da sind. Die Demonstranten fürchten um ihren „Lebensraum“ Internet, und auch wenn ihre Klagen wie ihre Forderungen ungenau erscheinen, sind sie als Gegenüber in der politischen Diskussion willkommen. Sollten willkommen sein. Stattdessen scheinen sie die Koalitionspolitiker entweder zu reizen – der Bundestagsabgeordnete Heveling fuhr jüngst schweres Geschütz gegen sie auf – oder zu verschrecken.
Ganz offen und ehrlich: Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass das Engagement der Netzaktivisten in einer Zeitung wie der FAZ ein positives Echo findet, ich hätte denjenigen für verrückt erklärt. Die in dem Artikel angesprochenen Koalitionspolitiker bekunden entweder klein laut Reue (wie Peter Altmeier) oder tun sich mit konstantem profunden Nichtverstehen (wollen?) hervor, wie Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU) oder CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach.
Erich Moechel schreibt auf orf.at über ein internes Protokoll des Ministerrates: “ACTA soll Weltstandard werden“.
Der Hauptzweck von ACTA sei, dass dieses Abkommen mittelfristig zum internationalen Standard werde, sagte ein Vertreter der EU-Kommission bei einer Sitzung der TRIPS-Expertengruppe (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) des EU-Ministerrats am vergangenen Dienstag.
Das Protokoll dieser nicht öffentlichen Sitzung, das ORF.at in Auszügen vorliegt, vermerkt weiters: ACTA sei ja nicht primär für Europa, sondern vorrangig für die USA gemacht worden. Das gehe auch aus den bereits verteilten Unterlagen hervor, bemerkte ein hoher Kommissionsbeamter, dessen Namen das Protokoll (wie üblich) nicht erwähnt.
Bezug nehmend auf das HADOPI-Gesetz in Frankreich schreibt Moechel:
Wichtigstes Element in diesem Vorhaben, das den Inhabern und vor allem Verwertern von Urheberrechten umfassende und direkte Zugriffsmöglichkeiten einräumt, sind dabei die zu errichtenden ACTA-Komitees. Diese natürlich von den Rechteverwertern dominierten Gremien können dann Entscheidungen fällen, die bisher der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf nationaler Ebene unterworfen waren.
Auf ACTA übertragen heißt dies:
Aus der französischen “Blaupause” HADOPI wird so eine internationale “Schablone” abgeleitet, deren Hauptzweck es ist, die oben zitierten Strukturen und Mechanismen im Sinne der Verwertungsindustrie erst einmal zu etablieren. Deshalb ist dieses Abkommen auch in solch abstrakter Sprache gehalten, denn allzu viel darüber verraten, welche Tragweite ACTA realiter hat, wollte man natürlich nicht.
ACTA ist als zentraler, juristischer Andockpunkt für weitere gesetzgeberische Vorhaben wie EU-Richtlinien, Verordnungen und andere internationale Verträge geplant. Am Beispiel des “Internet-Chapters” ist diese Vorgangsweise klar ersichtlich.
Fassen wir hier also einmal zusammen:
- ACTA ist ein Abkommen, dass in erster Linie den Interessen der Unterhaltungs- und Verwertungsindustrie aus den USA und Japan dient.
- ACTA schafft mit dem ACTA-Komitee ein Gremium, dass an Gerichten vorbei operieren kann
- ACTA ist als zentraler, juristischer Andockpunkt für weiter gehende gesetzgeberische Vorhaben im Sinne des Schutzes des “geistigen Eigentums” gedacht.
Aus Sicht der nationalen, wie auch des EU-Parlamentes, bedeutet eine Zustimmung zu ACTA nicht weniger als die Abgabe von Kompetenzen an ein Gremium, welches dann wirklich in einem rechtsfreien Raum operieren kann.
Vor diesem Hintergrund ist ein Brief, den die Rechtelobby bereits am 10.02. an Minister der EU-Staaten sowie Mitglieder des EU-Parlamentes geschickt hat, ein schlechter Witz. In diesem Fordern die Unterzeichner die Parlamentarier auf, ACTA zu unterstützen. Begründet wird dies, wie immer, mit Arbeitsplätzen in Europa.
Zitat: ACTA is good for Europe. Without changing EU law, it establishes common procedures for dealing with IPR infringements across countries accounting for 50% of world trade. The framework set up by ACTA will have a positive impact on protecting Europe’s industries, jobs and people.
(Moment: Arbeitsplätze in Europa? Wie war das mit “ACTA dient vorrangig den Interessen der USA und Japans”? – Siehe Artikel von Erich Moechel)
Unterzeichner des Briefes sind unter anderem aus Deutschland:
- Bundesverband Musikindustrie
- Börsenverein des Deutschen Buchhandels
- Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie
- Markenverband
- Verband der Vertriebsfirmen Kosmetischer Erzeugnisse
In diesem Zusammenhang ist es schon eine steile These, die Proteste gegen ACTA als “koordinierte Angriffe auf demokratische Institutionen wie das Europäische Parlament und nationale Regierungen” zu bezeichnen.
Vielleicht sollte sich der eine oder andere Konsument in nächster Zeit überlegen, ob er Produkte von Unternehmen kaufen möchte, die nichts besseres zu tun haben, als einen Vertrag zu unterstützen, der seine Freiheit, seine Grundrechte und seine Würde untergräbt?
Der Konflikt um SOPA und PIPA in den USA hat gezeigt, was Aktivismus heute ausrichten kann. Der Konflikt um ACTA wird es hoffentlich wieder zeigen. Dabei sind unsere Demos nur ein Baustein in der Kampagne. Es gibt noch andere. Seine eigenen Werke unter einer CreativeCommons-Lizenz zu veröffentlichen, kann vor dem Hintergrund von Abkommen wie ACTA schon fast als ein politischer Akt gesehen werden. Dies war mit einer der Gründe, warum CreativeCommons oder Wikipedia so klar Position gegen SOPA, PIPA und ACTA beziehen.
Im Wikimedia Blog schreibt Jan Engelmann: Wikimedia Blog: Wir können auch anders – ACTAvismus für Freies Wissen
Nach Meldungen der örtlichen Veranstalter waren am Samstag etwa 120.000 Menschen auf Deutschlands Straßen unterwegs, um gegen das Handelsabkommen ACTA zu protestieren. Das ist schlicht erstaunlich. Wer noch vor Tagen prophezeit hätte, dass sich ganze Kohorten von Schülern, Studierenden, netzpolitisch Engagierten und besorgten Bürgern zu einer bunte Regenbogenkoalition zusammenfinden würden, um gegen einen spröden, fast schon hermetischen Vertragstext aufzuparadieren, der wäre wohl für verrückt erklärt worden.
In seiner Rede auf der Berliner StoppACTA-Demo führt Jan Engelmann aus:
Wir stehen für die Zivilgesellschaft und ihren Wunsch nach Zusammenarbeit. ACTA steht für die einseitigen Interessen der Rechteverwerter. Diese zeigen gegenwärtig eine Tendenz, die unschätzbaren Möglichkeiten, die das Netz gerade für freie, ungehinderte Meinungsäußerung und gemeinschaftliche Wertschöpfung bietet, durch aggressives Lobbying beschneiden zu wollen.
Abschließend sei noch auf die aktuelle Erklärung der Digitalen Gesellschaft verwiesen: Wir erklären das Netz, nicht den Krieg
Die ACTA-Proteste sind eine Netz- und keine Kriegserklärung. ACTA ist für diese Generation ein Synonym für die Netzpolitik der Nichtversteher. ACTA hat viele Namen: IPRED, UrhG, Hackerparagraf, Bundestrojaner, SOPA, PIPA, Zensursula, Censilia, 2-Strikes, 3-Strikes, Abmahnungen, Vorratsdatenspeicherung – ACTA steht für all die Fälle, in denen Politik für diese Generation vollkommen versagt und nur zu oft einseitige Interessen bedient hat.
[…]
Die Proteste gegen ACTA sind ein guter Startpunkt. ACTA stoppen ist der erste Stein in der Mauer, um vom überkommenen Urheberrecht zum Kreativnutzerrecht zu kommen. Die digitale Gesellschaft ist am Wochenende einen guten Schritt vorangekommen. Der Anti-ACTA-Tag war ein Festtag der digitalen Demokratie. Wer diese Bewegung ignoriert, wird bei kommenden Wahlen wegdemografiert.
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